16 Minuten Lesezeit
Die digitale Infrastruktur für KI in der Bauwirtschaft
Datensilos verhindern Digitalisierungsprozesse – iECO (Intelligent Empowerment of Construction Industry) soll die Produktivität der Baubranche um bis zu zehn Prozent steigern.
Das Bauen ist nach wie vor ein sehr abstimmungsintensiver und handwerklich geprägter Prozess. Derzeit behindern unvollständig digitalisierte Prozesse und abgeschottete Datensilos eine effiziente Zusammenarbeit aller Beteiligten über die gesamte Wertschöpfungskette. Das zeigt sich vor allem immer wieder an den klassischen Schnittstellen: bei Leistungsfeststellung und Abnahme, bei der Projekt-Übergabe sowie bei Genehmigungsverfahren. Das kann wesentlich schneller gehen, wie wir unten sehen werden.
Digitalisierung braucht also Strukturen und Regeln und womöglich ist eine bauspezifische Künstliche Intelligenz der nächste logische Schritt zur Effizienzsteigerung in der Branche. Das von der Bundesregierung geförderte Projekt iECO hat genau dies im Fokus und soll die Produktivität der Baubranche um bis zu zehn Prozent steigern. Im Gespräch mit Wolfgang Müller, dem ehemaligen Konsortialführer, und seinem Nachfolger Mamadou Ly, dem aktuellen Konsortialführer seitens der RIB Software GmbH, erhielten wir Einblicke in die ambitionierten Ziele des Gaia-X Förderprojektes1 iECO.
Wo liegen die Probleme heute, es gibt doch jede Menge Software-Tools für Planung und Bau?
Richtig – heute gehören digitale Werkzeuge bei allen Beteiligten in der Bauwirtschaft zum Alltag. Auf der Baustelle gibt es nahezu keinen Handwerker, der nicht sein Smartphone nutzt, um Notizen zu machen, Mängel zu dokumentieren oder den Status einer Materialbestellung zu prüfen. Aber wie wollen wir das Potenzial dieser vielen Daten, angefangen von der Planung, über die Terminplanung und Materialbestellung bis hin zur Mängeldokumentation, verfügbar machen?
Bauspezifische Daten zu Material, Gewerken und so weiter werden in den meisten Fällen noch lokal und nur vereinzelt auf Cloud-Lösungen gespeichert. Für die Entwicklung neuer Services oder die Optimierung von Abläufen müssen diese Daten aber miteinander vernetzt sein. Und zwar nicht nur bis zur Abnahme des Bauwerks, sondern auch in der anschließenden Nutzungs- und Betriebsphase. Gerade hier fallen viele Daten an, die beispielsweise auch für gesteigerte Nachhaltigkeitsanforderungen elementar wichtig sind. iECO hat sich zur Aufgabe gemacht, diese Produktivitätslücke zu schließen und der Bauwirtschaft neue Wertschöpfungspotenziale zu eröffnen.
Bitte definieren Sie iECO kurz für Nichttechniker. Was machen Sie in dem Projekt?
iECO (intelligent Empowerment of Construction Industry) ist eines der ersten Leuchtturmprojekte des bundesdeutschen Gaia-X-Förderwettbewerbs1 mit einem Projektvolumen von knapp 20 Millionen Euro. Ziel des Forschungsprojekts ist es, die Prozesse in der Bauwirtschaft komplett zu digitalisieren und so ihre Produktivität um bis zu zehn Prozent zu steigern.
Im Zentrum von iECO steht ein Datenraum als durchgängige digitale Infrastruktur für die Bau- und Immobilienwirtschaft. Bei iECO werden die Möglichkeiten des offenen und herstellerneutralen Cloud-Datenraums genutzt, um einen Digitalen Zwilling für den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks zu schaffen. Dieser umfasst von der initialen Grundlagenermittlung über den Bau bis zum Abriss immerhin eine Nutzungsphase von vielleicht 80 – 100 Jahren. Dieser digitale Zwilling des gesamten Gebäudelebenszyklus soll bestehende Datensilos in der Bau- und Immobilienwirtschaft aufbrechen, sodass Ineffizienzen zwischen Projektpartnern wie auch zwischen den Übergängen von einer Lebenszyklusphase zur nächsten deutlich verringert werden können. Dazu wird der Datenraum genutzt, um KI im Bauwesen eine datentechnische Grundlage zu geben. Bei iECO setzen wir konkrete Beispiele dazu in allen drei Bereichen Planen, Bauen und Betreiben um. Diese sogenannten Advanced Smart Services sind nützliche Assistenzsysteme für Planung und Baustelle, die dazu beitragen, den Bauprozess in der ganzen Wertschöpfungskette weiter zu optimieren.
Optimierung der gesamten Wertschöpfungskette der Bauwirtschaft – wer ist an dem Projekt beteiligt?
Zu den zehn Partnern, die das Projekt realisieren, gehören prominente Unternehmen aus der Bauwirtschaft, IT-Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Das Projekt führt so einerseits baufachliche Expertise aus der gesamten Wertschöpfungskette von Planung und Projektsteuerung, Bauausführung und Gebäudemanagement zusammen. Auf der anderen Seite bringen weitere Partner wie das Fraunhofer IIS ihr Know-how im Bereich Big Data und KI-Analytik ein oder stecken den Rahmen der rechtskonformen Digitalisierung bei Genehmigungs- oder Vergabeverfahren ab wie die Hochschule Hof oder die Landesgewerbeanstalt Bayern. Mit diesen Partnern ist nicht nur die Bauwirtschaft, sondern auch die öffentliche Hand eingebunden. Sie spielt im Bauprozess eine ganz wesentliche Rolle denn bei jedem Bauprojekt gibt es Prüfungen und Genehmigungen. So werden mit dem Datenraum die Voraussetzungen für digitale Prüf- und Genehmigungsverfahren in der Bauwirtschaft geschaffen.
Neben der RIB Software sind Konsortialpartner die A1 Digital, die Fraunhofer Gesellschaft, die Hochschule Hof, die Implenia Hochbau GmbH, IPROConsult, die Landesgewerbeanstalt Bayern, N+P Informationssysteme, Software AG und die TU Dresden.
Bei aller Begeisterung, bezüglich KI und Cloud bestehen Unsicherheiten. Wie erreichen Sie, dass Planer, Bauindustrie und Bauherren mit auf den Zug aufspringen?
Ganz wichtig wird eine einfache, transparente Bedienung und Benutzerfreundlichkeit sein, um eine breite Akzeptanz bei allen Projektbeteiligten zu gewährleisten. Ein weiterer Knackpunkt ist das Vertrauen in eine sichere Cloud für sensible Daten wie auch die Kontrolle bei der Weitergabe und beim Teilen von Daten. Jeder Projektbeteiligte muss in der Kooperation mit anderen Unternehmen oder der öffentlichen Hand sicher beurteilen können, zu welchen Bedingungen diese Daten und Informationen zur Verfügung gestellt werden.
Die Datenhoheit wird zu einem entscheidenden Faktor für den Erfolg in der modernen Bauindustrie wenn digitale Prozesse Lebenszyklus-übergreifend zusammenspielen sollen. Dies unterstreicht auch das Bauindustrie-Leitbild 2024 des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie2.
Vertrauen brauchen insbesondere KI-Anwendungen, die ja bekanntlich besonders datenhungrig sind?
Richtig – bei KI-Anwendungen im Bauwesen steht und fällt deren Leistungsfähigkeit mit dem Umfang und Qualität der sogenannten Trainingsdaten, die das baufachliche Wissen repräsentieren. Ganz ähnlich wie die Fähigkeiten allgemeiner KI-Modelle wie GPT auf einer Unzahl an Dokumenten und Texten basieren. Vollständigkeit, Qualität und Ausgewogenheit oder Diversität kennzeichnen eine gute Datengrundlage für KI-Implementierungen. Vollständigkeit bedeutet, dass für viele Anwendungen eine große, unternehmensübergreifende Datengrundlage vorteilhaft wäre. Dies basiert auf dem Unternehmensübergreifenden Sharing von Daten und Informationen aus verschieden Quellen. Allerdings repräsentieren diese Daten für die einzelnen Unternehmen einen Wert. Denken Sie an Kalkulationsgrundlagen oder Prozess-technisches Knowhow, ein Wissen, das man ohne weiteres nicht teilen wird. Nicht alle Daten können aus juristischer Sicht ohne Weiteres für das Training einer KI-Anwendung herangezogen werden. Beim Data-Mining müssen interne und externe Datenpools entsprechend den aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen aufgebaut werden.
Erfolgskritisches Wissen teilen – wie soll das in der Praxis funktionieren?
Der Schlüssel sind aus meiner Sicht Spielregeln, etwa wann welche Daten geteilt werden. Es gibt die Idee eines Föderators, der wie eine Art Notar die Daten erst dann weitergibt, wenn der Empfänger zertifiziert ist und alle Regeln einhält. Das muss eine vertrauenswürdige Institution sein, ähnlich dem TÜV. Technisch bietet das sogenannte Federated Learning eine Lösung, indem es kollaboratives Lernen aus verteilten Daten ohne Zentralisierung ermöglicht. Dieser Ansatz wird z.B. in der Qualitätskontrolle von Fertigungsanlagen verwendet, wo Maschinendaten aus verschiedenen (konkurrierenden) Unternehmen „neutralisiert“ zusammengeführt werden.
Das Grundkonzept des Federated Learning kombiniert lokales Datentraining mit einem zentralen Modell, das nur die Lernergebnisse und Parameter der einzelnen Modelle erhält, ohne dass sensible Informationen preisgegeben werden. Diese Daten bleiben jederzeit bei den Dateneigentümern.
So würden auch rechtliche Rahmenbedingungen für Cloud und KI eingehalten?
Ja, föderiertes Lernen bietet einen Compliance-freundlichen Ansatz, da die Daten lokalisiert bleiben und die „grenzüberschreitende“ Datenübertragung zwischen Unternehmen und Organisationen minimiert wird. Wir arbeiten in einer Region mit relativ strengen Datenschutzbestimmungen, maßgeblich sind die DSGVO, der EU Data Governance Act und der neulich verabschiedete EU Artificial Intelligence Act. Er verpflichtet z.B. voraussichtlich KI-Entwickler künftig zur Offenlegung der Trainingsdaten, um eine externe Kontrolle der verwendeten Inhalte zu ermöglichen. Dieser rechtliche Rahmen entspricht unserem Wunsch nach einem verantwortungsvollen und transparenten Umgang mit Daten. Wir realisieren bei iECO die technische Dateninfrastruktur nach der Devise „Recht darf nicht bremsen, sondern muss in Prozesse integriert werden.“ (Prof. Dr. Weber, Hochschule Hof). Das bedeutet andererseits auch dass möglicherweise einige traditionelle Regelwerke wie beispielsweise die 16 unterschiedlichen Landesbauordnungen soweit harmonisiert werden müssten, dass digitale Verfahren möglich werden.
Welche konkreten Nutzen- und Optimierungspotenziale zeichnen sich für die Praxis ab?
Mit den sogenannten Advanced Smart Services erschließt iECO der Bauwirtschaft neue KI-gestützte Optimierungs- und Wertschöpfungspotenziale: So können beispielsweise Prüf- und Genehmigungsverfahren digital vorbereitet, Terminpläne mit KI (teil-)automatisiert erstellt, optimiert und angepasst werden. Außerdem können Baustellen in Echtzeit überwacht und dadurch nicht nur Störungen frühzeitig identifiziert und antizipiert, sondern auch die Arbeitssicherheit verbessert werden. Projektfortschritte inkl. (Teil-)Abnahmen und Mängelidentifikation bzw. -behebung können transparent und effizient digital dokumentiert werden oder die während der Planung und Bauausführung entstandenen Daten können für seinen späteren Betreiber zielgerichtet dokumentiert und übergeben werden.
Diese Ansätze beinhalten eine beträchtliches Effizienzpotenzial: Sie können etwa die Leistungsfeststellung oder die Übergabe einer Baustelle mit Hilfe eines digitalen Modells auch online am Bildschirm abwickeln. So schaffen Sie mehrere Baustellen an einem Tag und alle Beteiligten, Planer bzw. Subunternehmer ersparen sich Anreise und aufwändige Prüfungen vor Ort.
An welchen Projekten wird bei iECO im Bereich Planung gearbeitet?
Mit einem Service verbinden wir die BIM- und GIS-Welt3: Wir unterstützen Planende und Umweltfachexpert*innen, die zunehmend komplexeren umweltrechtlichen Auflagen in der Planung einzuhalten und damit den Weg für die Genehmigungsfähigkeit von Bauplanungen zu ebnen. Umweltgeodaten aus der GIS Welt fließen dabei von Beginn an in die Analyse von Grundstücks- und Bauwerksdaten mit ein und Planende sind mit sämtlichen umweltrelevanten Informationen versorgt.
Darüber hinaus versuchen wir im Bereich der Planung, den Genehmigungsprozess von Gebäuden zu digitalisieren. Auch hier geht es wieder um die Vernetzung von Geländedaten mit BIM Daten des Gebäudemodells. Zudem müssen Daten zwischen vielen unterschiedlichen Beteiligten ausgetauscht werden. Bei einem durchschnittlichen Gewerbebau sind das schnell 20 Akteure – vom Brandschutz, über die Kommune bis hin zur Tragwerksplanung – die alle auf die gleichen Daten zugreifen müssen. Die KI-basierten Prüfungen erfolgen teilweise BIM-modellbasiert und sind teilweise automatisierte Prüfungen von formalen Regularien.
Woran arbeiten die iECO-Partner im Bereich Bauausführung?
Hier entwickeln wir ebenfalls zwei Anwendungen: Die erste dient einer besseren Steuerung der Baulogistik. Dazu werden Material und Geräte mit einem QR-Code gekennzeichnet und können so nachverfolgt werden. Wir machen das mithilfe einer Drohne und erfassen, wann wo welches Element auf der Baustelle ist. Dadurch können wir die Materialflüsse nachvollziehen und langfristig verbessern.
Die zweite Anwendung ist die teil-automatisierte Meldung von Fertigstellungen mithilfe von Bilderkennung über Drohne und stationäre Kameras. Bis jetzt finden dafür Baubegehungen mit dem Bauherrenvertreter/Planer, dem Generalunternehmen und den Handwerkern statt. Dabei müssen alle Seiten Protokolle schreiben und diese anschließend miteinander abgleichen. Erst wenn sich alle einig sind, bekommen die ausführenden Unternehmen ihr Geld, was oft Monate dauert. Wir wollen diesen Prozess für rund 80 % der Bauleistungen automatisieren. Dadurch könnten die Zahlungen wesentlich schneller abgewickelt werden.
Und wie steht es mit der Digitalisierung im Gebäudebetrieb?
Ein Ansatz beschäftigt sich mit dem Übergang vom Bau zur Betriebsphase mit durchgängiger KI-Unterstützung-Technologie, welche Bauwerksdokumentation und Zertifikate unmittelbar mit dem BIM-Modell verzahnt und sie im Falle einer Nachweispflicht zur Verfügung stellt. Gleichzeitig werden sämtliche, während der Inbetriebnahme vorgenommenen Anpassungen in einem teilautomatisierten Prozess gesammelt und den Planenden zur Verfügung gestellt.
Ein weiterer Advanced Smart Service fokussiert sich auf die Instandhaltungs- und Betriebskosten im Gebäudemanagement. Dazu bekommen wir von den Kommunen Daten zu Strom-, Wasser- und Wärmeverbrauch. Wir verknüpfen die Betriebskosten mit Daten zu Wetter und Nutzungsverhalten und leiten daraus Prognosen zu Kosten oder Auswirkungen von Instandhaltungsmaßnahmen ab. Da kommen wir zum aktuellen Thema Energieeffizienz, also zur Frage: Lohnt sich der Einbau einer Wärmepumpe und wann amortisiert sie sich? Das ließe sich mithilfe einer KI aus den Daten relativ einfach ableiten.
Herzlichen Dank für den Einblick in dieses spannende Projekt und alles Gute!
Mehr zum iECO-Projekt (Intelligent Empowerment of Construction Industry)
Anmerkungen
1. Das Gaia-X Projekt verfolgt als Ziel den Aufbau einer leistungs- und wettbewerbsfähigen, sicheren und vertrauenswürdigen Dateninfrastruktur für Europa. So können Daten und Dienste zur Verfügung gestellt, vernetzt und sicher geteilt bzw. genutzt werden, um Innovationen zu fördern und die Mehrwerte der Datenökonomie für alle Datengeber nutzbar zu machen. Beim Förderwettbewerb des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz „Innovative und praxisnahe Anwendungen und Datenräume im digitalen Ökosystem Gaia-X“ steht die Implementierung und Umsetzung konkreter Anwendungsfälle im Vordergrund. iECO ist das Leuchtturmprojekt des Förderwettbewerbs für die Anwendung in der Baubranche. Weitere Informationen.
2. „Die Wahrung der Datenhoheit und digitalen Souveränität der Beteiligten ist Voraussetzung für digitale Geschäftsprozesse“. Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V. (HDB), die Publikation „Digitalisierung am Bau“ 2024
3. GIS – Geografische Informations-Systeme (GIS) umfassen anwendungsneutrale Geobasisdaten wie z.B. Grenznetzwerke und Landschaftsmodelle als auch Geofachdaten zu Umwelt, Verkehr, Energie u.a.
KI im Bauwesen: Ausblick RIB Software
Anwendungen der künstlichen Intelligenz etablieren sich schrittweise im Bauwesen. Sie haben das Potenzial, zu einer nachhaltigen und umweltfreundlichen Planung beizutragen. KI-gestützte Anwendungen können helfen, effektiver auf aktuelle und zukünftige Herausforderungen der Branche zu reagieren, Kosten zu reduzieren und die Qualität von Projekten zu steigern. RIB Software betrachtet in den kommenden Monaten gemeinsam mit Partnern konkrete Anwendungen, die Ihnen helfen Bauprojekte besser zu planen, durchzuführen und zu managen. Freuen Sie ich darauf.
Aktuelle Beiträge
16 Minuten Lesezeit
7 Minuten Lesezeit
39 Minuten Lesezeit
27 Minuten Lesezeit