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Bau einer neuen Produktionshalle der Volkswagen AG Bratislava mit Fertigteilen

Juli 21, 2017
12 Minuten Lesezeit

DeBondt Kurzpräsentation

Stahlbeton-Fertigteilbinder und -Pfetten.

Im April 2009 fiel innerhalb des Konzerns der Volkswagen AG die Entscheidung über eine Produktionserweiterung ihres Standortes in Bratislava in der Slowakei. Bereits im Jahr 2011 sollen erste Fahrzeuge einer neuen Modellreihe das Fließband verlassen und von dort in die ganze Welt geliefert werden. Das Gesamtvolumen der Investition beträgt 308 Mio. Euro. Dabei waren bei einer jährlichen Produktionskapazität von 400.000 Fahrzeugen gleichzeitig auch 1.500 neue Arbeitsplätze eingeplant.

Zu dieser Erweiterung gehörte ein Anbau an die Produktionshalle 2A, in der die Lackierarbeiten erfolgen. Bauplanung und Projektsteuerung wurden seitens des Bauherrn durch eine eigene Abteilung innerhalb der Volkswagen AG Bauplanung, also gemäß eingeführter konzernweiter Standards und Vorschriften sichergestellt. Von der Ausschreibung über die Vergabe, die eigentliche Bauausführung bis hin zu der Bauabnahme verliefen alle Projektaufgaben zweisprachig, also auf slowakisch und deutsch. Die Ausschreibungsunterlagen und Projektdokumentation zur Baugenehmigung der Halle 2A stellte der Slowakische Generalplaner Coproject a.s. im August des Jahres 2009 auf. Dabei sind alle Leistungsverzeichnisse zweisprachig mit Unterstützung durch die Projekt- und Kostenmanagementsoftware von RIB erstellt worden.

Die Produktionshalle 2A ist ein 4stöckiges Bauobjekt mit Hauptgrundrissabmessungen von 251,0 m x 60,0 m, quadratischem Stützweitenmodul 12,0 m x 12,0 m und einer Konstruktionshöhe von ca. 24,0 m bei einer Gründungstiefe von –2,2 m.

Skelettbau in Ortbeton in der ersten Planungsstufe

Das Tragwerk der Halle konzipierte das Ingenieurbüro BF-Partners s.r.o., Bratislava, Slowakei als Skelettbau in Ortbeton mit Fassadenblöcken im Raster von 6,0 m. Dadurch wurde zunächst eine einheitliche Vergabe der Bauleistungen über eine öffentliche und für die Allgemeinheit vollständig zugängliche Ausschreibung ermöglicht. Das Deckentragwerk wurde dabei aus an durchlaufenden Stützen gelenkig gelagerten Rippenträgern und Deckenplatten gebildet. Die tragende Dachkonstruktion wurde als Stahltragwerk aus Fachwerkbindern und Stahlpfetten entworfen, ergänzt durch Trapezbleche und weitere Elemente des klassischen Dachausbaus.

Sowohl aus brandschutztechnischen Gründen als auch zur Eingrenzung einer gegenseitigen Interaktion, zur Robustheitsabsicherung und nicht zuletzt aus Gründen des Bauablaufs wurde die Produktionshalle mit entsprechender Stützenverdoppelung an den Übergangsachsen  in drei unabhängige Bauabschnitte aufgeteilt. Als Gründung der Stützen sahen die Ingenieure Einzelfundamente, bedarfsweise mit einer lokalen Untergrundverbesserung bzw. einem Bodenaustausch an etwaigen Bodenbruchstellen und Verwerfungen, vor.

Rahmenbedingungen für die Bauausführung

Der enge Terminplan ging von der Projektvorbereitung, Baugenehmigung, Ausschreibung und den Grundbauarbeiten während der Sommer- und Herbstmonate 2009 aus und sah dann einen zügigen Fortschritt der Bauausführung in den Wintermonaten und im Frühjahr 2010 vor. Parallel zur eigentlichen Bauausführung waren die Ausführungsplanung inklusive der Ausfertigung der detaillierten Werkpläne und weitere umfassende Anforderungen des Bauherren an das Projekt zu erfüllen. Dazu gehörten vor allem ein störungsfreier Produktionsablauf im Betrieb unter der Einhaltung von entsprechend hohen Sicherheitsstandards.

Als Generalunternehmer bekam die tschechische Gesellschaft HSF System a.s. den Zuschlag für die Erstellung der Produktionshalle. Aus zeitlichen Gründen – die Ausführung musste unter Einhaltung der strengen Vertragsbedingungen und des Terminplans erfolgen – fiel die Entscheidung, dass das komplette Tragwerk zunächst vorgefertigt wird. Für diese Aufgabe wählte der GU den slowakischen Fertigteilhersteller Prefa Sůčany a.s. aus. Die Ausführungsplanung dafür übernahm das Ingenieurbüro DeBondt s.r.o., Trencin aus der Slowakei. Eine wichtige Rolle im gesamten Planungsablauf spielte die Tatsache, dass ein komplettes Re-Engineering für die Umstellung der ursprünglich geplanten Skelettbauweise auf eine montierte Fertigteilbauweise vom Fertigteilhersteller im Rahmen seiner Gesamtleistungen als Regiearbeiten abgegolten werden musste. Bei der neuen Planungsvariante erfolgte der gesamte Transport der Fertigteile auf der Straße, und die Montage wurde vor Ort mittels schwerer Autokrane vorgenommen.

RIB

Räumliches Modell der Fertigteilkonstruktionen im dritten Bauabschnitt.

RIB

Fortgeschrittene Tragwerksmontage der Halle 2A.

Tragwerksbelastungen

Neben den üblichen ständigen Einwirkungen (Eigengewicht, Ausbaulasten) und veränderlichen Lasten (Schnee, Wind, Erdbeben) wurden vom Bauherrn weitere technologische Nutzlasten vorgegeben, welche sich bei der Tragwerksplanung nach der STN EN als durchaus bemessungsrelevant erwiesen haben. Für die Ebenen 4,50 m / 5,40 m wurden charakteristische Deckennutzlasten von 7,5 kN/m2, 20,0 kN/m2 und bis zu 22,0 kN/m2 vorgegeben. Für die restlichen Ebenen +9,00 m und +13,00 m / +14,00 m waren es 7,5 kN/m2 und 10,0 kN/m2. Die veränderlichen Dachlasten betrugen 1,5 kN/m2.

Die charakteristischen Einzellasten auf den Geschossdecken erreichten Werte bis zu 407,0 kN, im Durchschnitt lagen diese jedoch bei rund 100,0 kN bis hin zu 200,0 kN. Die Aufhängelasten an den 12 m langen Bindern lagen zwischen 76,0 kN und 87,0 kN. Für diese hohen Belastungen konnte für die 24 m langen vorgespannten Binder mit beschränkter Bauhöhe keine statisch tragfähige und dabei gleichzeitig wirtschaftliche Lösung gefunden werden. Aus diesen Gründen waren weitere Projektänderungen zur Tragwerksoptimierung notwendig. Eine zusätzliche Hürde stellte dabei die vorgegebene Temperaturdifferenz von innen nach außen um ±30,0 K dar. Die Umweltbedingungen der Expositionsklasse XC1 und XC2 sowie die Brandschutzanforderungen R60 hatten hingegen keinerlei Einfluss auf den statischen Entwurf des Tragwerkes.

Ausgeführtes Fertigteilbauwerk

Die Ingenieure des Büros DeBondt begannen im Dezember 2009 mit der Ausführungsplanung und dem damit verbundenen Re-Engineering des gesamten Bauwerkes. Diese Planungsarbeiten liefen somit parallel zur bereits begonnenen Bauausführung ab und erstreckten sich von Januar 2010 bis zur Abnahme im Juni 2010. Die Planer, die die ursprüngliche Skelettkonstruktion in Ortbeton entworfen hatten, wurden vom Bauherren außerdem mit der Prüfstatik beauftragt, obwohl diese nach slowakischen Standards nicht zwingend vorge-schrieben wird. Die Grundbauarbeiten sowie die Errichtung der Stützenfundamente auf Großpfählen und die Sohlplatte der Ebene ±0,00 m erfolgten durch einen anderen Zulieferer des Generalunternehmers.

Die Grundabmessungen des Objektes und seine Aufteilung in drei Bauabschnitte gemäß der ursprünglichen Planung wurden beibehalten. Das ursprünglich geplante Stahltragwerk für das Dach wurde in der überarbeiteten Planung durch Spannbeton- und Stahlbetonfertigteile ersetzt. Die Geschossdecken wurden als Verbund von Ortbeton und Filigranplatten, gelagert auf einem Rost aus Fertigteilbalken, ausgeführt.

Vertikale Tragteile

Die vertikale Haupttragteile bilden Fertigteilstützen mit einer Gesamthöhe von 24,0 m und einem rechteckigen Querschnitt von 1000/800 mm bzw.  800/800 mm. Die Stützen sind in Ortbetonköcher eingespannt. Eine Ausnahme bildet die Anschlussachse zur bestehenden Halle 2. Hier werden die Stützen mittels eines Koppelankers vom Typ PFEIFER PSF 30 gelagert.

Die größte Herausforderung des Projektes stellte eine statische Berechnung und wirtschaftliche Bemessung der Stützen dar, denn der einzige vorhandene Aufzugsschacht (6 m x 4 m) eignet sich funktional nicht als aussteifender Kern. Die Stützen müssen somit auch eine horizontale Stabilität des Bauwerkes gewährleisten. So wird in jeder Deckenebene aus durchlaufenden Fertigteilbalken mit einem Rechteck- bzw. einem umgekehrten L-Querschnitt ein Umfangsverband ausgeführt. Die optimale statische Lösung wurde mit Hilfe des Programms BEST aus dem Hause RIB gefunden. Diese ermittelten die Ingenieure mit Hilfe der Theorie II. Ordnung unter Ansatz der notwendigen Imperfektionen und über effektive Steifigkeiten eines veränderlich bewehrten Querschnittes mit möglicher Rissbildung auf der Zugseite. Auf diese Weise erhielten sie eine wirtschaftliche Bemessung bei ausreichender Knicksicherheit aller Stützen.

Abstützungslasten aus dem Umfangsverband, aus Deckenbalken und Bindern konnten die Ingenieure mit der Software RIB RTool an den Stützen nachweisen. Das Ergebnis waren kurze Konsolen mit Verwendung von Elastomerauflagern und hochfesten Ortbetonmörteln. 

Horizontale Tragteile
 

Das Tragwerk des Trapezblechdaches bildet ein System aus vorgespannten Fertigteilbindern mit einer Länge von 24,0 m und einer Höhe 1,4 m und 1,5 m, ergänzt durch Stahlbetonfertigteilbinder mit einer Länge von 12,0 m und einer Höhe 1,2 m und 1,05 m sowie 12,0 m langen Pfetten mit einem keilförmigen, 650 mm und 700 mm hohen Querschnitt. Die Bilder 5 und 6 veranschaulichen die Anordnung der entsprechenden Dachbauteile.

Die vorgespannten, 24,0 m langen Fertigteilbinder haben sich bei der gegebenen Bauhöhenbeschränkung und den Brandschutzanforderungen als die wirtschaftlichste Lösung erwiesen. Der komplexe statische Entwurf der vorgespannten Binder inkl. Einflüssen, wie Transportsystem, technologische Aussparungen in Querrichtung und nichtlineare Kippsicherung, wurden mit der Software RIB RTfermo durchgeführt.

Die Tragwerkskonstruktion der Geschossdecken im Technikbereich wird durch einen Trägerrost aus 1.500 mm hohen Hauptträgern (12,0 m x 12,0 m) und ausgeklinkten, 950 mm hohen Unterzügen und Rippenbalken von je 3 m gebildet. Die eigentliche Decke bildet ein Verbund aus 60 mm dicken Filigranplatten und 140 mm Ortbeton. Die Betonierung wurde in großen Abschnitten vorgenommen, wobei der größte Arbeitsgang 36,0 m x 36,0 m betrug. Dabei wurde so vorgegangen, dass entlang der Auflagerungen der Rippenbalken auf den Unterzügen ein 1 m breiter Schwindstreifen ausgespart wurde, wodurch je zwei Arbeitsfugen entstanden sind. Die obere Bewehrung wurde hier so verlegt, dass sie nicht gleichzeitig von beiden Schwindabschnitten beansprucht wird. Die ausgesparten Streifen wurden zuletzt geschlossen.

Während des gesamten Bauverlaufs wurde stets auf eine präzise Ausführung von Verbindungen und Details geachtet. Wichtig waren dabei beispielsweise die Ausbildung und Ver-bundwirkung des aussteifenden Umfangsverbandes. Diese wirken gemeinsam mit den Deckenscheiben als Durchlaufträger. Mittels einer statischen Berechnung und Bemessung der Hauptträger und Unterzüge im Programm RTbalken von RIB konnten die Ingenieure für die Decken die von der installierten Technologie eng begrenzten Durchbiegungen einhalten. Analog berücksichtigten sie bei den Umfangsverbänden die dort auftretende Torsionsbeanspruchung bei der Bemessung des Systems.

Die Fertigteile wurden aus folgenden Materialien hergestellt:

  • Beton
  • Stützen    C40/50, C50/60
  • vorgespannte Binder    C55/67
  • Stahlbetonbinder    C50/60
  • Pfetten    C50/60
  • Umfangsverband    C35/45
  • Unterzüge und Rippen    C50/60
  • Hauptdeckenträger    C30/37
  • Stähle
  • Baustahl B500B (10505 R)
  • Spannlitzen D15,5 MM, ST1660/1860

Abschluss und Auswertung des ausgeführten Bauwerks 

Dem Fertigteilhersteller Prefa Sucany und dem Planungsbüro DeBondt ist es gelungen, trotz großen Termindrucks und den erforderlichen Umplanungen alle einschränkenden vertraglichen und klimatischen Anforderungen für das gesamte Bauwerk erfolgreich zu erfüllen. Die Bauausführung verlief trotz des strengen Winters in den Jahren 2009/2010 sowohl termingerecht als auch in der vereinbarten guten Qualität. Die Medien berichteten vielfach über die erfolgreiche Errichtung des Bauwerks nahe der slowakischen Hauptstadt Bratislava. Die Entscheidung, das Objekt weitestgehend als Fertigteilbauwerk auszuführen, hat sich durchaus als richtig erwiesen. Im Hinblick auf den winterlichen Bauablauf und die hohen technisch bedingten Deckenlasten hat die gewählte Fertigteilbauweise, begleitet durch den wirtschaftlichen, zuverlässigen statischen Entwurf und die Bemessung, dem Auftragsnehmer eine Einhaltung des streng verfolgten Finanzrahmens überhaupt erst ermöglicht.

Ein mutiger Schritt der Ingenieure von DeBondt war es außerdem, dem Fertigteilhersteller die Baustahl- und Betonmengen, die sie gemeinsam für die Angebotsabgabe ermittelt hatten, vertraglich zu garantieren. Ihre finanzielle Beteiligung an möglichen Einsparungen bildete dabei einen zusätzlichen Anreiz, die bestehende Ingenieurlösung noch weiter zu optimieren. Wie sich den Auswertungstabellen 1 und 2 abschließend entnehmen lässt, haben sie durch ihre fachliche Kompetenz, Erfahrung und nicht zuletzt durch den Einsatz leistungsfähiger Softwaresysteme aus dem Hause RIB ca. 350 t, also fast 20% des Baustahls gegenüber den Planmengen der Vorplanung einsparen können.